
Bioinformatisches Online-Tool steigert Genauigkeit beim Staging mehrerer Lungentumore
Heidelberger Forschende validieren IASLC-Testansatz für die klinische Routine und stellen weltweit kostenloses Online-Tool bereit
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Heidelberger Standort des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL) haben gemeinsam mit einem internationalen Team gezeigt, dass die von der International Association for the Study of Lung Cancer (IASLC) empfohlene Teststrategie zur Bestimmung der Verwandtschaftsbeziehung mehrerer Tumorherde für Lungenkrebs zuverlässig in der klinischen Routine umgesetzt werden kann – selbst dann, wenn nur molekulare Tests auf Basis kleiner Gen-Panels zur Verfügung stehen.
Durch die Kombination des IASLC-Ansatzes mit einer neu entwickelten bioinformatischen Methode konnte die Genauigkeit bei der Unterscheidung zwischen separaten primären Lungentumoren und intra-pulmonalen Metastasen deutlich verbessert werden. Um ärztlichen und molekularpathologischen Teams weltweit zu helfen, hat das Team das Tool frei online zugänglich gemacht: www.hd-molpath.de/clonality-checker.
Warum das wichtig ist
Für Lungenkrebspatientinnen und -patienten mit mehreren Tumorherden ist eine entscheidende Frage, ob dies separate primäre Tumore oder bereits Metastasen eines bestehenden Tumors darstellen. Moderne Sequenziermethoden, die im Rahmen der Therapiefindung ohnehin stattfinden, liefern hier einen genetischen Fingerabdruck des Tumors womit Tumorproben verglichen werden können. Die Antwort hat direkten Einfluss auf das Krankheits-Staging und die Wahl der Therapie.
Klassische histologische Methoden bleiben wertvoll, stoßen jedoch gerade bei kleinen Biopsieproben häufig an ihre Grenzen. Um dies zu verbessern, hat die IASLC kürzlich einen Algorithmus empfohlen, der pathologische Beurteilung mit gezielter molekularpathologischer Testung kombiniert. Den Pathologen, Ärzten und Naturwissenschaftlern unter der Leitung von Professor Stenzinger und Dr. Kirchner war es wichtig zu testen, ob dieser Ansatz auch unter Routinebedingungen zuverlässig funktioniert – also unter Bedingungen, bei denen meist nur kleine Gewebemengen und kleinere Sequenzierpanels verfügbar sind.
Praxisnahe Studie
In einer der bislang größten praxisnahen Studien analysierte das Heidelberger Team 240 Tumorproben von 120 Patientinnen und Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC). Berücksichtigt wurden dabei Patientinnen und Patienten mit und ohne Lymphknoten- oder Fernmetastasen, unterschiedliche histologische Subtypen sowie konserviertes (FFPE) Gewebe – also typische Bedingungen der klinischen Praxis.
Die meisten Proben wurden mit Panels von nur 31–54 Genen untersucht – der Standard in vielen europäischen Kliniken. Größere Panels mit über 500 Genen kamen meist nur dann zum Einsatz, wenn die Erstdiagnostik keine eindeutige Antwort lieferte.
Bioinformatische Innovation steigert diagnostische Präzision
Das Team entwickelte ein neues bioinformatisches Tool, das berücksichtigt, wie häufig oder selten bestimmte genetische Mutationen sind. Dadurch gelingt eine zuverlässigere Klassifizierung der Klonalität. Grundlage war die Mutationshäufigkeit in einer unabhängigen NSCLC-Referenzkohorte mit 3.477 Proben. Mit dem neuen Tool sank der Anteil unklarer Befunde auf nur 2 %, selbst bei kleinen Panels.
„Die präzise Unterscheidung, ob mehrere Lungentumoren miteinander verwandt oder unabhängig entstanden sind, ist entscheidend für die Therapieplanung. Diese Frage wird im klinisch-diagnostischen Alltag oft an uns gestellt“, sagt Dr. Michael Allgäuer, Erstautor der Studie. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass selbst mit den begrenzten Panels, die in vielen Krankenhäusern heute verfügbar sind, verlässliche Antworten möglich sind – insbesondere mit Unterstützung unseres frei zugänglichen bioinformatischen Tools“ ergänzt Dr. Martina Kirchner, die die umfangreichen genetischen Daten reanalysiert hatte.
Besonders wichtig: Patientinnen und Patienten, die als Träger separater Primärtumoren eingestuft wurden, überlebten signifikant länger als jene mit metastatischer Erkrankung – ein deutlicher Beleg für die klinische Relevanz der exakten Klassifizierung.
Globale Bedeutung
Der frei verfügbare „Clonality Checker“ aus Heidelberg kombiniert den IASLC-Ansatz mit der neuen bioinformatischen Methode. Damit steht Kliniken und Pathologien weltweit ein leicht zugängliches, evidenzbasiertes Instrument zur Verfügung, um die diagnostische Genauigkeit zu verbessern – auch dort, wo nur begrenzte Sequenzierkapazitäten vorhanden sind.
Das Team
Ermöglicht wurde diese Arbeit durch die enge Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Team von Pathologen und Naturwissenschaftlern des Universitätsklinikums Heidelberg sowie Ärzten der Thoraxklinik Heidelberg – in Kooperation mit Expertinnen und Experten aus Portugal, Frankreich, der Schweiz und den Niederlanden. Die Arbeit wurde im renommierten Journal of Thoracic Oncology veröffentlicht.
Originalpublikation:
Allgäuer M, Kluck K, Christopoulos P, Ball M, Volckmar A-L, Radonic T, Bubendorf L, Hofmann P, Heußel CP, Winter H, Herth F, Thomas M, Ylstra B, Peters S, Schirmacher P, Kazdal, D, Budczies J, Stenzinger A, Kirchner M. Advancing Lung Cancer Staging: Integrating IASLC Recommendations and Bioinformatics to Delineate Tumor Origins. Journal of Thoracic Oncology, Open Access, Article in Press, October 23. DOI: 10.1016/j.jtho.2025.10.010.
